Digital Care – ein Beitrag zur digitalen Mediatisierung erzieherischer Hilfen

Da digitale Medien aus dem Alltag von Kindern, Jugendlichen und Familien bereits heute nicht mehr wegzudenken sind und eine entsprechende Bedeutungszunahme in den kommenden Jahren zu erwarten ist, muss von weitreichenden Auswirkungen auf den gesamten Erziehungsprozess ausgegangen werden. Ebenso ist davon auszugehen, dass sich bei Trägern der öffentlichen Jugendhilfe familiäre Problemkonstellationen zeigen, bei denen digitale Medien eine Komponente für einen erzieherischen Hilfebedarf darstellen. In der Praxis führt dies bereits heute zu entsprechenden Anfragen an Erziehungshilfeträger, was wiederum als Indikator für entsprechende Weiterentwicklungserfordernisse betrachtet werden darf.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Weiterentwicklungen und Anpassungen an veränderte Lebenswelten der Adressaten/-innen bei den Hilfen zur Erziehung in gewisser Weise bereits gesetzgeberisch vorgesehen sind. In § 27, 2 SGB VIII heißt es dazu:

(2) Hilfe zur Erziehung wird insbesondere nach Maßgabe der §§ 28 bis 35 gewährt. Art und Umfang der Hilfe richten sich nach dem erzieherischen Bedarf im Einzelfall …

Auch eine Hilfe zur Erziehung, die teilweise oder auch überwiegend aufgrund digitaler Mediennutzung begründet ist, sollte demgemäß durch entsprechende Weiterentwicklungen der Hilfeformen gemäß §§ 28 bis 35 gewährt werden. Ausschlaggebend ist grundsätzlich der erzieherische Bedarf im Einzelfall, sodass u. U. auch neue Hilfeformen zu entwickeln wären. Hierzu erläutert die entsprechende Kommentierung: „Das Wort ‚insbesondere‘ stellt klar, dass die §§ 28 – 35 keinen abschließenden Katalog darstellen, das JAmt also nicht verpflichtet ist, einen der in §§ 28 – 35 näher umrissenen Hilfetypen auszuwählen. Die Vorschrift lässt daher der Entwicklung neuer Hilfetypen bzw. der Kreation maßgeschneiderter Hilfen ausreichenden Spielraum. JÄmter sind im Rahmen ihrer Gesamtverantwortung (§79) verpflichtet, für ein bedarfsgerechtes Hilfeangebot zu sorgen und das vorhandene Angebot mit den Leistungsanbietern ständig weiterzuentwickeln, damit im Einzelfall Hilfen bedarfs-, nicht angebotsorientiert gewährt und erbracht werden können.“ (Wieser-Kommentar SGB VII, 2015: 486; Hervorhebung im Original).

In der Konsequenz bedeutet dies, dass entsprechende Überlegungen hinsichtlich der individuellen Hilfe- und Erziehungsplanung anzustellen sind.

stadtgrenzenlos hat dazu in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Jugendhilfe Godesheim ein anamnestisches Instrument unter der Bezeichnung „Digital Care“ entwickelt. Digital Care steht für die individuelle Diagnostik der Mediennutzung bzw. des Medienverhaltens.

Basis der Diagnostik sind sieben Bewertungs-Dimensionen, mit jeweils sieben Abstufungen, die konkret beschrieben sind.

Auf Basis der jeweils diagnostizierten Ausgangslage in den verschiedenen Dimensionen werden zielgerichtete Maßnahmen initiiert. Diese können sowohl medienbildend als auch medienkompensatorisch sein und finden Eingang in die entsprechende Erziehungs- und Hilfeplanung für den jungen Menschen.

Damit soll nicht zuletzt auch einer vorschnellen Pathologisierung eines bestimmten Medienkonsummusters entgegengewirkt werden. Gleichzeitig ist an dieser Stelle jedoch auch die Zusammenarbeit mit der Kinder- und Jugendmedizin, insbesondere der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Kinder- und Jugendpsychotherapie zu stärken, um auch auf dieser Ebene im indizierten Einzelfall zusätzlich diagnostisch und therapeutisch intervenieren zu können