Erziehungshilfe in Zeiten des Digitalen – ein Zwischenruf

Inmitten komplexer Veränderungen und neuer Verantwortlichkeiten

Man mag darüber streiten, ob es sich bei der Digitalisierung um eine neue, weltumspannende Religion nie gekannten Ausmaßes handelt; so jedenfalls der Universalhistoriker Y.N. Harari.  Ebenso diskussionswürdig ist die These des Philosophen Richard David Precht, für den diese vierte industrielle Revolution nichts weniger als einen welthistorischen Anschlag auf die Humanität und Individualität des Menschen darstellt und unsere Gesellschaft mehr und schneller denn je in Gewinner und Verlier spalten wird.

Unbestreitbar ist hingegen, dass digitale Technologien von ursprünglichen Anwendungen im Bereich der Forschung, technischer Bereiche sowie der Betriebswirtschaft mittlerweile unser Leben zunehmend verändern und neue Bewältigungsanforderungen an uns stellen. Dies betrifft unsere sozialen Beziehungen, unsere Familien, unseren Einkauf, unsere Freizeit, die Verbreitung von Wissen, berufliche Anforderungen etc. Bereits dieser Befund muss für eine Erziehungshilfe, die sich an den konkreten Lebensverhältnissen, den subjektiven, alltäglichen Erfahrungen in den Lebenswelten ihrer AdressatenInnen orientiert, Anlass zu einer gründlichen Auseinandersetzung mit den Phänomenen der Digitalisierung sein.

Die digital-bedingten Veränderungen betreffen ebenso Organisationen und Unternehmen. So hat bereits 2017 eine branchenübergreifende Studie der Detecon verdeutlicht, welche Anforderungen Unternehmen in diesem Zusammenhang zu bewältigen haben. In den entsprechenden Befragungen von mehr als .. Unternehmen kristallisierte sich insbesondere heraus, dass Unternehmen sich im Zuge der Digitalisierung auf nahezu allen Ebenen und in nahezu allen Prozessen verändern müssen; ebenso, dass sie neben der Bewältigung der herkömmlichen Aufgaben im Zuge der Digitalisierung zusätzliche Qualitäten eines digitalen Startup-Unternehmens entwickeln müssen, dass sich die Rolle der IT vielfach insbesondere im Dienstleistungsbereich von reinen Bereitsteller von Hard- und Software zum Mitproduzenten neuer digitalisierter Dienstleistungen wandelt und vor allem, dass all dies einer ausgesprochen strategische Vorgehensweise zur Gestaltung entsprechender Transformationsprozesse bedarf. Hinzu kommt, dass neue Wettbewerber auftreten, die ihre Dienstleistungen nunmehr völlig losgelöst von bisherigen Verfahren und regionalen Zuordnungen, d.h. unterstützt oder alleine mit Hilfe digitale Technologien, zeitlich und räumlich und losgelöst, im virtuellen Raum anbieten können.

Artikel aus der Veröffentlichung in der Zeitschrift „Evangelische Jugendhilfe“ im Dezember 2018, Zeitschrift des Evangelischen Erziehungsverbands e.v. (EREV)

Wie nicht anders zu erwarten, werden auch die Trägerorganisationen, die Einrichtungen und Dienst der Erziehungshilfe werden zunehmend vom Sog des globalen Megatrends Digitalisierung erfasst. Im Gegensatz zu früheren Transformationsprozessen in der Sozialen Arbeit, wie etwa der Professionalisierung oder der Ökonomisierung, ist dabei jedoch im Falle der Digitalisierung die gesamte Organisation auf allen Ebenen und mit allen unterschiedlichen Interessengruppen, von den Hilfeadressaten über die fach- und Führungskräfte bis hin zu den Trägergremien wenn auch auf je unterschiedliche Weise, unmittelbar involviert.

Nie stand so viel Veränderung auf allen Ebenen gleichzeitig an! Bei alledem kommen in einer digitalisierten Gesellschaft auf die Erziehungshilfe neue ethische Fragestellungen zu, wie die Frage nach digitaler Gleichheit und Teilhabe, oder die Frage nach digitalem Schutz und digitaler Autonomie angesichts von Gewalt und Machtstrukturen im Netz. Der Erziehungshilfe kommt in diesem Kontext eine neue Verantwortlichkeit für die digitale Würde, die digitale Autonomie und digitaler Gerechtigkeit zu entwickeln.

Die zunehmende Anzahl an Fachtagungen, und Fachbeiträgen sind deutliche Indikatoren für eine gesteigerte Aufmerksamkeit und ein zunehmendes Interesse der Wissenschaft, Verbände, sowie der Einrichtungen und Dienste.

Dabei scheint sich das Interesse derzeit noch sehr deutlich auf medienpädagogische Inhalte und weniger auf systematisch gestaltete Transformationsprozesse zu richten, innerhalb derer die Vermittlung von Medienbildung und Medienkompetenz nur eines von vielen Themen.

Zur Gestaltung systematischer fachlich-digitaler Transformationsprozesse.

Wenngleich auch in den Einrichtungen und Diensten der Erziehungshilfe seit Jahrzehnten immer größere finanzielle Mittel in die digitalen Infrastrukturen zur Bewältigung der betriebswirtschaftlichen und verwaltungsseitigen Aufgaben investiert werden, stehen systematisch gestaltete fachlich-digitale Weiterentwicklungsprozesse bislang weitgehend aus. Aus den genannten Gründen, erscheint es erforderlich, die fachlich-digitale Transformation der Einrichtungen und Dienste zu einem strategischen Führungsthema werden zu lassen. Hierzu einige Anmerkungen: Als Voraussetzung für einen solchen fachlichen Transformationsprozess sind organisatorische Voraussetzungen, Zuständigkeiten und Beteiligungsformen zu schaffen, z.B. in Form einer Steuerungsgruppe, der Beteiligung der Fachkräfte als Medienbeauftragte in den jeweiligen Teams, der Einbeziehung von Jugendlichen als Medienscouts etc..  Zur Entwicklung einer Digitalstrategie für die Einrichtung hat es sich als sinnvoll erwiesen, unterschiedliche Prozessebenen der Digitalisierung zu differenzieren. Hier ein entsprechendes Beispiel:

Wie das nachfolgende Beispiel zeigt, können auf diese Weise von der Steuerungsgruppe wiederum einzelne Zielsetzungen für den Transformationsprozess definiert werden.

Erziehungshilfe 2.0, 3.0, 4.0 ?!

Bereits diese wenigen Andeutungen machen deutlich, dass die Auseinandersetzung mit der Digitalisierung aktuell und aufgrund der enormen technischen Entwicklungsgeschwindigkeiten wohl auch in Zukunft eine der größten Herausforderungen für Erziehungshilfe darstellt.

Ob wir eine digitalisierte Form der Erziehungshilfe benötigen, kann daher nicht die Frage sein. Erziehungshilfe wird sich den globalen Umwälzungen durch den Megatrend der Digitalisierung nicht entziehen können.

Ob dies eine bessere Erziehungshilfe oder schlechtere Erziehungshilfe sein wird, sei dahingestellt, eines jedoch ist sicher: es wird eine andere Erziehungshilfe sein, bei deren Entwicklung wir noch ganz am Anfang stehen!