Erfahrungsbericht: Fotoworkshop mit Kindern durchführen

Um es gleich zu sagen: Dieser Artikel will keine Anleitung für einen Fotokursus sein, sondern den Blick dafür öffnen, wie viele positive Aspekte das Fotografieren mit Kindern im Rahmen der Jugendhilfe haben kann. Im Rahmen eines Sommercamps boten wir für jeweils 4 – 6 Kinder aus dem Intensivbereich einen Fotoworkshop an. Wir, das sind eine Kollegin aus unserer Frühförderpraxis Biff, die dort als Ergotherapeutin tätig ist, und ich, Dipl. Soz. Arb. Wir holten an Spiegelreflexkameras zusammen, was wir in der Einrichtung bekommen konnten. Warum? Die Kinder sahen – ohne mehr über die Kameras zu wissen – sofort, welches die höherwertigen Kameras waren. Und sie wussten es zu schätzen, oder hatten zumindest eindeutig ein Verständnis dafür, dass sie hier eine seltene Chance bekamen. Ich hatte schon vorher die Erfahrung gemacht, dass ich mich um meine geliebte, private 5d nicht sorgen muss, wenn ich sie einem Kind in die Hand gebe. Und tatsächlich ist ihr auch bei diesem Workshop nichts passiert. Was bewirkt so eine schwere Kamera in Kinderhänden: Aus meiner Sicht bringt die Handhabung mit sich, dass die Kinder mit mehr Ruhe und Bedacht ans Werk gehen. Das unterstützt die Auseinandersetzung mit dem Motiv und dem Bildaufbau. Wir hatten damals keinen Pool von einheitlichen Kameras. Die DSRL sind in ihrer Menüführung wesentlich ähnlicher aufgebaut, als die unendliche Vielzahl von digitalen Fotoapparaten, die man komfortabel in eine Hosentasche stecken kann. Das erleichtert die Anleitung erheblich, vor allem, wenn nicht mehr alle Bedienungsanleitungen vorhanden sind. Nach meiner Erfahrung können viele der kleinen Kameras mehr, als man ihnen landläufig zutraut. Wer also die Möglichkeit hat, für eine Fotogruppe mehrere gleiche Kameras zu kaufen, ist vielleicht mit preisgünstigeren Lösungen als DSLR besser beraten. Noch ein Tipp zur Ausrüstung: Ist die Speichermöglichkeit begrenzt, müssen Kinder schon frühzeitig Bilder anschauen und auswählen, bzw  löschen, um wieder Platz zu schaffen. Das hat sich als sehr förderlich erwiesen.

Jede Einheit des Workshops startete mit einer Einführung in ein Thema und einer fotografischen Aufgabe, z. B. 

  1. Wie halte ich die Kamera? Wie bediene ich Grundfunktionen der Kamera?  Was darf ich auf keinen Fall tun? (z. B. keinen Akku oder Speicherkarte bei laufender Kamera entfernen )

Aufgabe: Wir gehen auf unser Heimgelände und jeder fotografiert, was er besonders schön oder besonders blöd findet. = Sichtweisen sichtbar machen

  1. Einfache Porträts: wie nutze ich natürliches Licht? Wie möchte ich Menschen zeigen, wie selbst gesehen werden? Wie verwende ich einen Reflektor? (das gab uns die Möglichkeit, 3erteams zu bilden: Model, Photog und Assistent, denn wir hatten an dem Tag mehr Teilnehmer)

Aufgabe: Porträts machen, verschiedene Lichtsituationen ausprobieren, sich aufeinander einstellen, Rollen wechseln.

  1. Autofokuspunkte: wie nutze ich sie? Wie wähle ich einzelne Autofokuspunkte aus? Welchen Vorteil hat das?  Offene Blende und Schärfentiefe?

Erste Aufgabe: 3 Kugeln auf einem Tisch fotografieren, um so die Wirkung von Schärfentiefe zu verstehen

Zweite Aufgabe: Doppeltes suchen und  fotografieren, sodass ein Exemplar scharf und das andere unscharf ist – z. B. 2 Blüten, 2 Schaukeln, 2 Schuhe, … Dazu sind wir in einen Park gefahren, wo es einfach viel mehr Unbekanntes zu entdecken gab.

  1. Autofokus richtig setzen: was macht ein Foto spannend? Aufgabe: Zäune fotografieren. Der Zaun als optischer „Rhythmus“, bei dem möglichst ein Ding aus der Reihe tanzt, z. B. die eine geknickte Spitze, die die perfekte Serie unterbricht, oder die Blüte, die durch den Zaun lugt…

Aufgabe: entsprechende Hingucker am Zaun finden, zur Ruhe kommen und  korrekt fokussieren….

Solche Aufgaben kann man viele bilden, je nach Zusammensetzung und Kenntnissen der Gruppe. Wer Anregungen braucht, kann sich z. B. bei flickr anschauen, zu welchen Themen dort Gruppen gebildet wurden und auch Beispiele für tolle Fotos finden, z. B. zum Thema Zaun  fence friday, aber auch League of the empty chair, be square für quadratische Bildkompositionen….u. v. m. Sehr schön spielerisch ist auch diese Aufgabe: das erste Foto muss eine  1 enthalten, dass zweite eine 2 usw. oder 11, 22, 33. Die Kinder merken schnell, wie langweilig es ist, wenn man nur Hausnummern derselben Straße fotografiert. Man kann aus dem Finden der passenden Zahlen einen Wettbewerb machen.

Wir haben eher Aufgaben gestellt, welche die Fähigkeiten der Kinder sich zu zentrieren, aufmerksam zu sein u. ä. gefördert haben. Andere Mitarbeitende hätten vielleicht mehr Fotoaufgaben gestellt, die in Richtung sichtbar machen und dokumentieren gegangen wären. Mir fällt dazu immer wieder das Beispiel von einem Mädchen ein, das jeden Tag in der Mensa der Schule ihren Teller fotografiert hat, um ihn bei Facebook zu posten. Das Essen war offensichtlich so schlecht, und die Aufmerksamkeit schnell so groß, dass die Schule den Caterer wechseln musste.

Jede Einheit endete damit, dass wir die Fotos gesichert und angeschaut haben. Besonders schöne Fotos wurden ausgedruckt und aufgehängt.

Was haben wir Erwachsenen gelernt:

  1. Man kann anhand der Fotos sehen, welche Einschränkungen die Kinder möglicherweise haben…, wenn z. B. die Fotos immer wieder verwackelt sind, die Bewegungen so unruhig sind, dass die Bildkomposition verschoben ist oder das Motiv schon aus dem Bild verschwunden ist. Man kann nachvollziehen, wie lang Aufmerksamkeitsspannen sind. Was sieht das Kind? Bleibt es bei der Aufgabe, oder fotografiert es alles, was ihm gerade auffällt?
  2. Mit dem Fotografieren lassen sich viele Fähigkeiten auf attraktive Weise üben: zur Ruhe kommen, beobachten und genau hinsehen, seine Aufmerksamkeit lenken, sich und die Kamera fokussieren, die Kamera ruhig halten. Oder: auf mein Gegenüber eingehen, seinen Gesichtsausdruck wahrnehmen. Oder auch: Teams bilden.
  3. Am meisten Spaß macht es, wenn jeder eine Kamera in der Hand hat.
  4. Kinder sehen ihre Umwelt „anders“ – sehr spannend!

Die Freude am Fotografieren war bei allen sehr groß. Meine Kollegin, die bis dahin eher wenig fotografiert hatte, stieg auf eine DSLR um. Die Kinder fragten immer wieder, wann sie denn noch mal fotografieren dürften. Auch ein Förderer ließ sich anstecken und wir konnten 4 Spiegelreflexkameras und verschiedene Objektive anschaffen, die jetzt in den Gruppen zur Verfügung stehen. Jedes Mal, wenn ich die Fotos unserer Kinderreporter sehe, freue ich mich sehr!